Rede von Dorotty Szalma (Intendantin des Theater der Altmark), anlässlich »Demokratie auf der Straße« am 4. November 2024.
Liebe Stendaler und Stendalerinnen,
dass wir als Theater der Altmark heute diesen Lesemarathon beginnen, hat einen besonderen Grund. Damals im Herbst 1989 waren es Theatermitarbeiter der Berliner Theater, die zur großen Demonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz aufriefen. Sie organisierten die Veranstaltung und luden Redner aus Kultur, Kirche, Hochschulen und Staatsvertreter ein.
Auf der Bühne in einem Theater, kann Vieles gesagt und verhandelt werden. Die Theaterstücke im alten Griechenland, wo die Demokratie entstand, wurden in denselben Foren aufgeführt, in denen die Bürger diskutierten und ihre Volksvertreter wählten.
Aber manchmal reicht die Bühne eben nicht aus. Dann gehen die Theaterleute mit Dozenten, Pfarrern und Bürgern auf die Straße, um ihre Stimme zu erheben. So war es fünf Tage vor der Maueröffnung in Berlin. Den Rednern von damals wollen wir heute unseren Respekt erweisen.
Rund eine halbe Million Menschen waren damals dabei, um ihre Reden zu hören. Wir wollen sie heute noch einmal hören, um miteinander über die Gegenwart und Zukunft ins Gespräch zu kommen.
Wenn das gesprochene Wort auf der Bühne versagt wird, ist der Weg nicht mehr weit, dass auf den Straßen das Gleiche passiert. Theater und autoritäre Gesellschaftsmodelle passen schlecht zusammen. Denn Kunstschaffende wie Theatermacher verführen dazu, einfachen Antworten zu misstrauen. Wer Kürzungen in der Kultur mit »ideologischer Indoktrinierung« im selben Atemzug nennt, führt nichts Gutes im Schilde. Denn wer das Geld kontrolliert, braucht über Inhalte nicht zu streiten. Lassen wir es nicht soweit kommen.
Die Zeiten haben sich verändert, Sichtweisen haben sich verändert – und dennoch fangen wir wieder an, einander als Feinde zu betrachten. Aber es ist ein großer Unterschied, ob wir Gegner sind oder Feinde. Mit dem Gegner ringt man und man wächst an ihm, der Feind wird vernichtet, denn der Feind hat kein Mitspracherecht. Wo das angefangen hat, dass wir einander als Feinde betrachten, ist schwer zu sagen. Ich bin nicht hier, um jemanden ins Gewissen zu reden. Ich ermutige Sie, sich zu messen, zu streiten, miteinander ins Gespräch zu kommen. Diskutieren Sie und streiten Sie bitte weiter darüber, wie wir unsere Demokratie gestalten müssen, um gut miteinander leben zu können.
Es steht uns nicht zu, die Zukunft zu fürchten – es ist unsere Pflicht, sie zu gestalten.